Ein Fallbeispiel für Alle III (SSD + RD)

Notfallszenarien für Ersthelfer bis Rettungsdienstmitarbeiter.

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27.05.2013, 19:47
Original von Maxi
Den Wendel habe ich genommen, da dieser etwas besser toleriert wird, als ein Güdel.


Gäbe es eine Kontraindikation für die Verwendung eines Wendl? (Die nicht für die Nutzung eines Guedel gilt)
" Die jungen Leute von heute sind wesentlich angenehmer als in den 60er, 70er und 80er Jahren. Sie sind toleranter und respektvoller, auch älteren Leuten gegenüber. "
- Heino

27.05.2013, 20:19
Original von M1k3
Original von Maxi
Den Wendel habe ich genommen, da dieser etwas besser toleriert wird, als ein Güdel.


Gäbe es eine Kontraindikation für die Verwendung eines Wendl? (Die nicht für die Nutzung eines Guedel gilt)


Schädel-Hirn Verletzungen, da die Gefahr besteht, dass die Tubusspitze durch die Schädelbasis ins Hirn gleitet.

Daher habe ich nach Blutungen / Verletzungen am Schädel gefragt, was auf ein SHT deuten könnte.

28.05.2013, 05:25
Ich würde eine venöse Stauung durch schlecht angelegte Gurte vermuten. Dabei kommt es dann zu einem Volumenmangel und dem Fehlen des Blutes im Gehirn. Dadurch dass die Patientin sitzt kann der Körper die Synkope nicht selbst beenden. Deswegen auch die schnelle Verbesserung des Zustandes nach dem Hinlegen.

28.05.2013, 09:47
Okay, also konkret:

Welche Mechanismen sorgen im menschlichen Körper dafür, dass Blut aus dem großen Zeh zum Herz zurück komt, und von dort (beispielsweise in Richtung Hirn) weitergepumpt werden kann.

Warum sind diese bei der jungen Dame nicht mehr wirksam?

Was kann man tun, um eine entsprechende Bewusstlosigkeit länger hinaus zu zögern (letztlich verhindern kann man sie nicht....)

28.05.2013, 10:25
Original von leuchtreklamefahrer
Okay, also konkret:

Welche Mechanismen sorgen im menschlichen Körper dafür, dass Blut aus dem großen Zeh zum Herz zurück komt, und von dort (beispielsweise in Richtung Hirn) weitergepumpt werden kann.

Warum sind diese bei der jungen Dame nicht mehr wirksam?

Was kann man tun, um eine entsprechende Bewusstlosigkeit länger hinaus zu zögern (letztlich verhindern kann man sie nicht....)


Das ganze passiert mit Hilfe von Venenklappen und der Muskelpumpe.
Bei der Patientin ist dies nicht mehr wirksam, da a) eine Stauung der unteren Extremitaeten durch den Gurt vorliegt und b) die US- Muskulatur nicht mehr arbeitet (freies Haengen) und das Blut effektiv hochdrueckt.
Durch Beinschlingen, gegen welche man tritt, kann man die Muskelpumpe aktivieren.
Sobald die Symptomatik fuer ein Haengetrauma auftritt (Ohrensaussen, Schwindel, Blaesse, Vigilanzstoerung, Schocksymptomatik) hilft nur die schnelle Rettung und eine Lagerung in kauender Position, die Schocklage ist kontraindiziert, da eine Ueberlastung des re. Ventrikels droht, was bis zum Kreislaufstillstand fuehren kann.

28.05.2013, 10:57
Neben Venenklappen und der Muskelpumpe gibt es noch die anatomische Kopplung von Arterien und Venen, einen geringen Druck durch das nachfließende Blut und bei herznahen Venen einen Unterdruck des re. Ventrikels in der Füllphase.

Da die Patientin FB nicht frei hing, sondern an der Wand war, hätte sie sich mit den Beinen an der Wand abstützen können, was durch die flachere Position einen venösen Fluss wieder begünstigt hätte.

Der Mechanismus des Bergetods geht m.W.n. nicht nur auf die plötzliche Vorlasterhöhung, sondern auf Verschiebungen des pH-Werts, toxische Stoffe aus der betroffenen Extremität und Verschiebungen des Elektrolythaushalts (speziell Kalium) zurück.
Mitglied bei *dem* BRK und bei den Brandpatschen

28.05.2013, 13:21
Da ist ja schon mal viel Gutes dabei, insbesondere auf die physiologischen Mechanismen bezogen!

Ich schreib mal noch eine etwas allgemeinere Abhandlung:)

Das "Hängetrauma" ist als Krankheitsbild relativ jung und erstmals als solches 1972 erwähnt. Der Begriff an sich scheint unglücklich gewählt, da in aller Regel keine Verletzungen bei den Patienten gefunden werden. Im angloamerikanischen Raum spricht man gerne von "harness-induced Pathology" oder einem "harness-hang-Syndrom".
Vor 20-30 Jahren waren die Sicherungseinrichtungen bei weitem nicht so ausgereift wie heute - ein heftiger Sturz führte oft einfach durch die Folgen des Fangstoßes zum Tod (==>kein Patient mit "Hängetrauma für den RD...). Heute kann man bei Verwendung entsprechender Technik gut und gerne 10-15m frei fallen, um im Anschluss eine Schlüsselstelle erneut zu klettern. Aus diesem Grund wird die Zahl der Patienten mit "Hängetrauma" in Zukunft ansteigen - eine Zunahme von Kletteraktivitäten, Verwendung von Gurtzeug im Bereich der Arbeitssicherheit in exponierten Höhen etc spielen da natürlich zusätzlich mit hinein.

Man geht davon aus, dass die Mechanismen des venösen Rückstroms durch das aufrechte Hängen gestört sind (ggf. die Atmung zudem durch einen getragenen Brustgurt beeinträchtigt wird - hier in diesem Fallbeispiel nicht der Fall); Der wohl wichtigste Pathomechanismus ist in der fehlenden Muskelpumpe zu finden, da den Patienten in aller Regel der "Gegendruck" für die Füße fehlt. Hier kann die Verwendung einer Trittschlinge wertvolle Dienste leisten, wie Maxi bereits erwähnt hat; Zudem wird in Studien der positive Effekt einer "Hochlagerung" der Beine durch Verwendung einer kurzen Schlinge in den Kniekehlen erwähnt. Je nach verwendetem Gurt und Anschlagpunkt ist es durchaus wahrscheinlich, auch Bewusstlose in einer "aufrechten" Position vorzufinden - was für die Entwicklung eines Hängetraumas natürlich fatal ist. Dies ist insbesondere im industriellen Bereich durchaus nicht selten.

Ob die Kompression venöser Gefäße im Bereich des Hüftgurts (Gurtzeug an Becken und Oberschenkeln) bei der Entstehung eines Hängetraumas relevant ist wird als sehr fraglich angesehen . In aller Regel findet sich lediglich eine geringe Kompression im Bereich der Gefäße - ein falsch angelegter oder falsch dimensionierter Gurt können hier natürlich fatale Folgen haben. Bei einem korrekt angelegten Gurt und einer guten Position im selbigen sind die Gefäße jedoch tendentiell eher "frei".

Umwelteinflüsse (Schmerz, Angst, Kälte, Erschöpfung, Z.n Sturz/Trauma etc) spielen erwartungsgemäß eine große Rolle. In aller Regel klagen Patienten vor Eintritt der Bewusstlosigkeit über Übelkeit, Schwindel, Kraftlosigkeit, Ohrensausen etc (präsynkopale Symptome:)). Der Eintritt der Bewusstlosigkeit kann durch Bewegung, Verwendung der oben genannten Trittschlinge o.ä. maßgeblich verzögert werden - eine rasche Rettung ist anzustreben.

Als Folge der schwerkraft-induzierten Volumenzunahme in den unteren Extremitäten sind ein Abfall des Schlagvolumens und ein Abfall des MAP zu finden. Durch Zunahme des kapillären Drucks in den Beinen kommt es zu einem hydrostatisch-induzierten Austritt intravasaler Flüssigkeit ins Interstitium - was bei längerem Hängen bis zum ausgedehnten Volumenmangelschock führen kann.

Nach der Rettung führt die bisher gefürchtete rasche Zunahme der Vorlast in aller Regel nicht zu Problemen - oftmals handelt es sich um kardial gesunde Patienten, welche die Volumenzunahme gut verkraften. (flache Lagerung + ggf. Volumen)
Wenn der rechte Ventrikel bei jungen, gesunden Menschen derart schnell beleidigt wäre, würde man wohl kaum einen Handstand überleben...

Wenn Patienten mit Hängetrauma nach der Rettung versterben, so geschieht dies in aller Regel nicht innerhalb kürzester Zeit, sondern vielmehr Stunden nach der Rettung, evtl. im Rahmen einer klinischen Abklärung/Behandlung.

Präklinisch sollte die Therapie neben den üblichen Standards (Atemwegssicherung beim Bewusstlosen, Herz-Lungen-Wiederbelebung bei Herz-Kreislauf-Stillstand) die Gabe eines Flüssigkeitsbolus beinhalten, andauernde Störungen der Hämodynamik können mit Katecholaminen behandelt werden (Cave: Patienten oft sauer).
Mit hoher Wahrscheinlichkeit profitieren Patienten von der Gabe eines Schleifendiuretikums - das ist jedoch dann eher Aufgabe der aufnehmen Intensivstation...

Bei allen Patienten mit dem Verdacht auf ein Hängetrauma ist ein Crush-Syndrom zu unterstellen - neben Labor und Monitoring sollte das aufnehmende Haus die Möglichkeit zur Dialyse bieten. Dies gilt vor allem, wenn dem Hängetrauma ein Sturz mit entsprechendem Verletzungsmuster vorausgegangen ist....

Abschließend noch eine Klarstellung: Soweit ich weiß, ist der von Max beschriebene "Bergetod" eher ein Begriff, der das Versterben eines hypothermen Patienten nach unglücklichen Lageveränderungen beschreibt - Hängetrauma is was anderes:)

Fragen, Kritik, Hinweise?

28.05.2013, 13:23
Shit, vergessen: Kauerstellung o.ä. sind zwar heroisch, aber (trotz entsprechender Empfehlungen in der Literatur) eher Quatscht. Diese Empfehlung geht auf eine Beschreibung Paul Seddons aus dem Jahre 2002(?) zurück, die allerdings jeglichem experimentellen Nachweis entbehrt, und die aufgrund schlechter Datenlage kritiklos übernommen wurde...

28.05.2013, 17:27
Dumme Frage:
Wir hatten in der JBR (Jugendbergrettung) neulich auch das Hängetrauma durchgenommen... dies wurde gleich gesetzt mit dem Bergungstod. Denn bei Hängetraume versackt das ganze Blut ja ebenso in den Extremitäten - kommt das Blut dann zum Körperkern, kann es auch zum Kreislaufschock kommen. Nur fehlt beim Hängetrauma die Komponente Temperatur. Hat man uns das ganz falsch beogebracht oder was sagt ihr?
Signatur nach Wahl einfügen!

28.05.2013, 17:42
Beim Hängetrauma "draußen" spielt die Temperatur durchaus eine Rolle. Neben dem Versacken des Blutes kommt vor allem den Veränderungen einzelner Blutparameter eine wichtige Rolle zu...

28.05.2013, 18:14
Also ich glaub auch, dass der Begriff "Bergungstod" im Zusammenhang mit der Bergung vom Seil verwendet wird.

Das klassische Hängetrauma trifft man fast nur draußen an - im Indoorsport sollte man eigentlich vor der Entstehung eines Schocks gerettet sein.
Mitglied bei *dem* BRK und bei den Brandpatschen

28.05.2013, 18:25
Unterschätze nicht die Zahl von Arbeitern,die sich im Gurt hängend "indoor" verabschieden....

Außerdem dachte ich bis vor kurzem, dass man bei einem lebenden Menschen nie "bergen" sagen darf-erst nach dem Rettungsdienst kommt doch der Bergungsdienst,oder?

28.05.2013, 18:48
Um ein bisschen klugzuscheißen:
a) "bergen" ist seiner ursprünglichen Wortbedeutung nach sehr wohl zutreffend, ledliglich in Fachkreisen wird zwischen retten und bergen unterschieden. Wie Dinge gerettet werden können, können auch lebende Menschen geborgen werden.
b) bin ich ein Zweitwohnsitz-Österreicher - hier gibt es diese Unterscheidung auch in Fachkreisen nicht :D
Mitglied bei *dem* BRK und bei den Brandpatschen

28.05.2013, 18:52
Das hättest du doch gleich sagen können, Max :D

28.05.2013, 19:25
Ich oute mich so ungern ;)
Mitglied bei *dem* BRK und bei den Brandpatschen

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