Indikation NA zur Analgesie

Hier könnt ihr erlebte Einsätze schildern und sie können von uns gemeinsam besprochen werden.

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03.05.2016, 10:54
Hi zusammen,

ich habe mal eine kurze Frage an die aktiven RDler unter euch. Ich war vor ein paar Tagen zusammen mit einem weiteren Kollegen zur sanitätsdienstlichen Absicherung bei einem Sportturnier. Im Laufe des Tages wurden wir dann auf eins der Sportfelder gerufen, auf dem ein Jugendlicher mit schmerzverzehrtem Gesicht auf dem Boden lag. Es stellt sich heraus, dass er unglücklich auf sein Nacken gefallen ist und unter starken Schmerzen an der HWS litt, die ihm auch kleinste Bewegungen unmöglich machten. Selbst die wenigen Millimeter zum Anlegen des Stiffnecks waren sehr schmerzhaft. Auf der Schmerzskala gab der Junge die Schmerzen mit 7/10 an (bei Nichtbewegung). Vitalparameter waren stabil und auch neurologisch war alles soweit unauffällig.

Wir haben uns dann trotzdem dazu entschieden, neben einem RTW auch ein NEF zur Analgesie nachzufordern. Nachträglich frage ich mich jetzt allerdings, ob die Alarmierung des NA wirklich indiziert war. Prinzipiell ware natürlich auch Load & Go möglich gewesen. Ab wann ist es sinnvoll, einen Notarzt zur Schmerztherapie hinzuzuziehen?

Viele Grüße und danke schon einmal für die Antworten
vision
03.05.2016, 13:32
Hallo,
bei uns im Rettungsdienstbereich ist laut SOPs eine Analgesie ab einem Schmerzwert von >= 6 (auf einer Skala von 0-10) indiziert. Diese kann je nach Situation durch den RettAss oder Notarzt begonnnen werden.
Dem RettAss steht dabei Perfalgan als Kurzinfusion zur Verfügung.
"Wir essen jetzt Opa!"
Satzzeichen retten Leben!
03.05.2016, 17:25
Eine strikte Indikationsstellung aufgrund eines Zahlenwertes halte ich ebenso wie eine Analgesie mit Perfalgan für unglücklich. Viel eher ist das eine subjektive Einschätzung in Kombination mit klinischer Erfahrung. Ich finde präklinisch die Frage "ob der Patient nun akut ein starkes Schmerzmittel benötigt" für deutlich geschickter. Die Frage ist ja häufig auch wie sich die Schmerzen auf dem Transport entwickeln werden und wie das weitere klinische Procedere ist.
03.05.2016, 20:24
leuchtreklamefahrer hat geschrieben:... ebenso wie eine Analgesie mit Perfalgan für unglücklich.

Warum?
04.05.2016, 08:05
Ich finde das Verhalten okay, wenn es dem Wohl des Patienten dient. Neuerdings ist zur Analgesie (sofern nach SOPs gearbeitet wird) kein Notarzt zwingend mehr erforderlich, es reicht, wennd er Patient nach Versorgung durch den Rettungsdienst einem Arzt zugeführt wird. Insofern hätten evtl. auch die Rettungsdienstler die medikamentöse Schmerzbekämpfung durchführen können und der zusätzliche NA-Einsatz wäre evtl. überflüssig.

Allerdings kenne ich die Gegebenheiten in eurem Landkreis nicht. Daher ist man bei dem Vorgehen auf der sicheren Seite. Vielleicht verfügen die Rettungsdienstller, die kommen, ja auch über zu wenig Anwendungserfahrung, um sich die eigenverantwortliche Gabe des Medikamentes zuzutrauen.



Seit neuestem arbeiten Rettungsassistenten und Notfallsanitäter bei uns im Kreis auch nach Standardeinsatzregeln, die von der Landesarbeitsgemeinschaft der ärztlichen Leiter RTD festgelegt werden. Die Anwendung ist an bestimmte Vorbedingungen geknüpt, die hier nicht weiter thematisiert werden sollen.

Hierzu wurde uns im Falle einer stark schmerzenden Verletzung des Stütz- und Bewegungsapparates mit NRS über "5" Esketamin zur Verfügung gestellt, bei kolikartigen Schmerzen Butylscopolamin.

Bei Applikation muss der Patient einem Arzt zugeführt werden oder ein Notarzt nachgefordert werden. Auch ein Verweigern ist dann ohne ärztliche Beratung vor Ort nicht mehr möglich.

Bei beiden Medikamenten verfüge ich auch (noch) über zu wenig Anwendungserfahrung, als dass ich mir die Gabe ohne Notarzt zutrauen würde...
04.05.2016, 16:47
Danke für die Antworten bisher!

@ Hajo
Auf unseren RTWs (deutsche Großstadt) werden keine Analgetika mitgeführt. Die NEF Nachforderung ist da die einzige Alternative. Auf der anderen Seite ist man aber auch in 10 Minuten im Klinikum. Daher finde ich das sehr schwierig abzuwägen.
04.05.2016, 17:07
Ich habe mal den Notzarzt/Neurologen im Haushalt gefragt, wie er das einschätzt. Die Notarztindikation in dem Fall wären aus seiner Sicht allein schon die Nackenschmerzen gewesen, die den Verdacht auf ein HWS-Trauma nahelegen. Durch die Schmerzen in der Stärke können primär neurologische Auffälligkeiten überdeckt werden, die sich erst später unter Analgesie herausstellen. Abgesehen davon, dass die Schmerzstärke durchaus eine NA-Indikation darstellt in seinen Augen, geht es hier um die forensische Absicherung, damit nicht in irgendeinem Gutachten in zig Jahren irgendwer auf die Idee kommt, der Rettungsdienst hätte da grobe Fehler gemacht und sonstwas übersehen...
04.05.2016, 20:08
vision hat geschrieben: Prinzipiell ware natürlich auch Load & Go möglich gewesen. Ab wann ist es sinnvoll, einen Notarzt zur Schmerztherapie hinzuzuziehen?


Wenn dein patient Schmerzen hat, und eine Analgesie wünscht, dann sorge dafür, dass er zeitnah Schmerzmittel bekommt. Denkt bitte nicht, dass ein Patient der schnell ins KH kommt, auch schnell eine Analgesie bekommt.
Analgesie ist kein Luxus, sondern sowohl für den Heilungsprozess, das Schmerzgedächtnis, wie auch dem psych. Wohlbefinden wichtig.
04.05.2016, 21:06
caro87 hat geschrieben:Ich habe mal den Notzarzt/Neurologen im Haushalt gefragt, wie er das einschätzt. Die Notarztindikation in dem Fall wären aus seiner Sicht allein schon die Nackenschmerzen gewesen, die den Verdacht auf ein HWS-Trauma nahelegen. Durch die Schmerzen in der Stärke können primär neurologische Auffälligkeiten überdeckt werden, die sich erst später unter Analgesie herausstellen. Abgesehen davon, dass die Schmerzstärke durchaus eine NA-Indikation darstellt in seinen Augen, geht es hier um die forensische Absicherung, damit nicht in irgendeinem Gutachten in zig Jahren irgendwer auf die Idee kommt, der Rettungsdienst hätte da grobe Fehler gemacht und sonstwas übersehen...


Wenn das Ergebnis des Einsatzes der Transport ins KH ist, hat doch selbst die neurologische Auffälligkeit keine Konsequenz. Wieder eine völlig unsinnige Notarztindikation, die aus den Köpfen nicht zu streichen ist. Nehmen wir mal ein spinales Trauma mit normalem Blutdruck und Querschnittssymptomatik. Was soll denn dann die Notarztnachforderung? Selbst der beste Notarzt hat kein Taschen-CT und kann am Querschnitt nichts ändern. Damit wird nur Zeit verloren.

@Topic:
Ich halte eine Analgesie, die sich allein auf die NRS stützt, für sehr problematisch. Die meisten Patienten sind dafür einfach zu doof. Nur so ist es zu erklären, dass es viele Menschen gibt, die mit einer Herzfrequenz von 60 entspannt auf der Trage liegen, aber angeben, 10/10 auf der NRS zu erreichen - also die maximal vorstellbaren Schmerzen zu haben. Und selbst wenn: Wie groß ist denn die Auflösung dieser Angaben? Wer ist denn in der Lage zu entscheiden, ob er nun auf 5/10 oder 6/10 kommt? Das ist doch reine Willkür. Da halte ich die Frage, ob der Patient eine Schmerztherapie wünscht, für wesentlich zielführender. (Nur nicht so schön akademisch....)

@Mike:
Die Diskussion, ob eine Analgesie nun Komfort ist oder Menschenrecht, lässt sich ja trefflich führen. Ein Blick ins NotSanG zeigt:

..Durchführen medizinischer Maßnahmen der Erstversorgung bei Patientinnen und Patienten im Notfalleinsatz und dabei Anwenden von in der Ausbildung erlernten und beherrschten, auch invasiven Maßnahmen, um einer Verschlechterung der Situation der Patientinnen und Patienten bis zum Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes oder dem Beginn einer weiteren ärztlichen Versorgung vorzubeugen, wenn ein lebensgefährlicher Zustand vorliegt, oder wesentliche Folgeschäden zu erwarten sind.


Beherrschen ist dabei definiert als:

"Kompetenzstufe für eine Maßnahme, in der der Anwender alle zu berücksichtigenden Sachverhalte überblickt und auch für Komplikationen über eine Bewältigungsstrategie verfügt."

Ob ein NotSan eine Analgetikagabe nach dieser Definition beherrscht und ob im Falle einer Verzögerung der Analgesie für ein paar Minuten wesentliche Folgeschäden zu erwarten sind, wird wieder irgendwann mal ein Gutachter-Battle klären müssen, da unsere Hochleistungsregierung das NotSanG ja lieber in den Sommerferien durchpeitschen musste, als noch mehr kritische Stimmen zu dem Gemurkse ertragen zu müssen.
(Schreibe gerade an einem Vortrag über das NotSanG und wollte eigentlich als einführende Pointe eine leere Folie zeigen mit dem Titel: "Was alles geklärt ist." )

Disclaimer: Jetzt habe ich Deinen Post noch einmal gelesen und bin jetzt der Meinung, dass Du hier nur für eine Nachforderung des Notarztes wirbst. Egal - jetzt habe ich mir so viel Mühe gegeben.... :D
04.05.2016, 21:28
Ich werbe für frühe Analgesie durch kompetentes Personal. Durch wen habe ich bewusst nicht spezifiziert, im Bereiche kompetentes Personal können alle im Rettungsdienst noch einiges lernen. ;)

EDIT: Deine Kritik am NotSanG teile ich. Ich wäre interessiert an deine Präsentation!
04.05.2016, 21:34
Solange ich auf die Frage "Was machst Du im Falle einer Morphinüberdosierung" haufenweise Antworten wie "dann lasse ich die Infusion schneller laufen" bekomme, bin ich ein erklärter Gegner einer generellen Freigabe von Opiaten für RFP. Sieht zum Glück der ÄLRD hier genauso. Und die Patienten, die vom RFP Ketamin bekamen, konnten wir nicht selten dann ohne weitere Narkose operieren.

Aber wir sind uns ja einig, dass es über alle Berufsgruppen hinweg eben eine große Kreisklasse und eine kleine Bundesliga gibt. :drinks:
04.05.2016, 22:28
Und mein bestreben ist es, die Strukturen zu schaffen, um eine größere Bundesliga zu schaffen. Leider wehren sich die Institutionen dagegen. Sowohl meine Berufsgruppe (ich glaube es ist eher Bequemlichkeit und Lethargie), wie auch deine Berufsgruppe (die überzeugt zu sein scheint, dass das Studium zur Elite qualifiziert).
08.05.2016, 22:44
Arbeitet die RKiSH nicht seit etwa einem Jahr auch mit Morphingabe durch RFP?

Ich glaube bisher wird Analgesie, bzw. Analgosedierung durch RFP selbst nur dann erwogen wenn der Patient massiv Schmerzen hat. Sprich selten, kaum Routine, dafür aber nur bei Patienten die tatsächlich starke Schmerzmittel brauchen.
Das erklärt vielleicht warum dann eher über- als unterdosiert wird, der Kollege hat sich evtl. schon einige Minuten "das Ganze angeschaut" und ist eben jetzt an dem Punkt an dem er auch ohne den z.B. nachgeforderten NA handeln will.

Von wirklich fortschrittlichen Modellen von Analgesie durch RFP sind wir hier jedenfalls noch ein bisschen entfernt...

Hier muss der Patient erst einen beim altgedienten RA mitleidserregend-dreckigen Zustand haben, bevor der sich auf das wacklige Eis der Medikamentengabe wagt.
09.05.2016, 18:00
Egal, wie die Sache ausgeht: Die Diskussion um die Morphingabe durch RFP wird doch extrem demagogisch geführt. Da wird in Vorträgen der üblichen Verdächtigen dahingeschwurbelt, dass das Leben der Patienten nie wieder sein wird, wie es war, weil sie 10 Minuten auf den Notarzt und die rettende Analgesie warten mussten. Wie das nun als Rechtfertigung für die Freigabe eines Medikaments sein soll, dessen maximale Wirkung nach 15 Minuten eintritt, soll mir mal jemand erklären. ;)

Wer fortschrittliche Modelle der Analgesie haben will, muss sich mal die militärischen Lösungen wie Fenta-Lollys o.ä. ansehen oder tatsächlich über die Gabe von Ketamin nachdenken. Die Freigabe von Morphin ist wieder nur ein politisches Symbol der RA-Verbände.

Übrigens wird komischerweise von allen die Gabe von Paracetamol iv dramatisch unterschätzt. 1g Paracetamol iv haben in etwa die gleiche analgetische Potenz wie 10mg Morphin. Nur dauert es eben etwa 30 Minuten bis zum Wirkungsmaximum.
09.05.2016, 23:08
Selbst wenn Schmerzen den Patienten nicht unmittelbar umbringen, so sind sie doch das unmittelbar unangenehmste.
Paracetamol mag unterschätzt sein, aber schlägst du jetzt Paracetamol als Analgetikum vor nachdem dir vorher 15-20 Minuten bis zum Wirkmaximum bei Morphin zuviel waren?

Bei uns in München sind beim BRK SOPs im Umlauf die Novalgin(+Buscopan) und Dormicum+Ketanest beinhalten, mein Eindruck bleibt jedoch dass es sich dabei eher Special Operating Procedures handelt - es kommt wieder auf Kreisklasse vs. Bundesliga raus. Wenige die sicher sind und sich trauen und der Rest, gleiches Bild bei allen anderen Organisationen und Firmen. Die anderen Organisationen arbeiten soweit ich weiß ohne strenge SOPs, mit den gleichen Medikamenten.

Entwicklung bzw. Einführung von einfacheren und sicherern Möglichkeiten sollte jeder offen gegenüber stehen.
Haben viele Rettungsmittel nicht genug Handwerkszeug für ordentliche Analgesie? Fehlt es nicht eher an der Schulung und Ausbildung und an Rechtssicherheit für die Kollegen um den Weg zu ebnen?

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